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die eule | und | der schneider [teil I]
es war einmal ein schneider namens tom | er war stets getrieben | immer noch alles besser zu machen | doch trotz seiner erfolge war er nie zufrieden | eines tages beschloss er | im wald spazieren zu gehen | um in ruhe darüber nachzudenken | wie er seine arbeit noch vollkommener machen könnte |
nach wenigen schritten spürte er | dass er beobachtet wird | er ließ seinen blick schweifen und entdeckte hoch oben auf dem ast eines baumes eine Eule |
diese präsentierte sich in einem prächtigen federkleid und richtete ganz gezielt ihren blick auf tom |
sie legte ihren kopf zur seite | klapperte mit dem schnabel | plusterte sich auf und begann zu sprechen | „hallo tom | ich bin sofia“ |
er erschrak | aber war neugierig zugleich und antwortete mit leiser stimme | „hallo | ja | ich bin tom | woher kennst du mich“ | „das ist mein geheimnis“ | sagte die eule | „ich weiß | dass du mit deinen kleidern menschen glücklich machen kannst | du schenkst ihnen damit zufriedenheit und selbstsicherheit | das ist | was den meisten menschen fehlt |
sie sind unzufrieden | sie empfinden keine lebensfreude |
wenn sie lebensfroh wären | gäbe es weniger hass | neid und angst“ | die eule schwieg und schloss ihre augen |
nach kurzem innehalten spreizte sie ihre flügel | schrei dreimal laut auf | und ein helles licht erstrahlte |
aus ihrem gefieder fiel eine große rolle garn herab in die hände des schneiders tom | “nimm dieses garn | es ist das garn der lebensfreude | schließe damit die nähte all deiner kleider und es wird wunderbares geschehen“ |
mit einem lauten letzten schrei erhob sich die eule und verschwand im grellen licht der sonne | jetzt wusste tom | was ihm gefehlt hatte |
dankbar und glücklich | der eule begegnet zu sein | eilte er in seine werkstatt und vernähte von nun an den zwirn der lebensfreude in all seinen kleidungsstücken |
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die eule | und | der schneider [teil II]
es war einmal eine zeit | da zog eine unheimliche | schreckliche krankheit übers land | und alle menschen fürchteten sich | sie hatten angst | ihr haus zu verlassen und anderen menschen zu begegnen | sie verschanzten sich hinter verschlossenen türen und verriegelten fenstern |
schneider tom | der schöne | wertvolle gewänder in brokat und seide genäht hatte | war plötzlich ohne arbeit | da kein kunde mehr kommen wollte | er konnte seinen schneidern keinen lohn mehr zahlen | auch wusste er nicht | wie er sein weib und seine beiden kinder ernähren sollte |
in dieser schweren zeit musste er oft an die eule sophia denken | der er einst im wald begegnet war und die ihm durch ihre klugen ratschläge zu einem erfüllten leben verholfen hatte | sie schenkte ihm das nie enden wollende garn der lebensfreude | um damit die nähte zu schließen | dass die menschen | die seine kleider trugen | glücklich und zufrieden waren |
eines nachts | es war sehr kalt | der mond stand leuchtend am himmel | da lag tom schlaflos | von sorgen gequält | in seinem bett | er starrte aus dem fenster und wünschte sich so sehr eine erneute begegnung mit der klugen eule sophia |
und es geschah |
plötzlich verdunkelte sich das mondlicht durch die umrisse eines mächtigen vogels | der sich auf den sims seines dachfensters setzte |
da war sie wieder | in ihrem prächtigen federkleid | stolz und schön | den kopf zur seite gelegt und mit ihrem schnabel klappernd | die eule sophia |
| „hallo tom | du bist traurig“ | sagte sie | „die menschen haben angst | angst vor dieser krankheit | und sie brauchen deine kleider nicht | du kannst ihnen dennoch helfen“ | sprach sie weiter | „fertige tücher an | die sie vor dem gesicht tragen können | um sich zu schützen | und besticke sie mit meinem antlitz | so dass sie nie vergessen | dass klugheit und besonnenheit sich nicht von der angst besiegen lassen | tu es und tu gutes damit“ |
mit einem lauten schrei erhob sie sich und verschwand im grellen licht des mondscheins |
ab dem nächsten morgen nähten tom und all seine schneider unendlich viele tücher und bestickten sie mit sophia | der klugen eule |
sie verteilten sie in der ganzen stadt | und die menschen trauten sich wieder aus ihren häusern | mit der zuversicht | diese dunkle zeit bald zu überstehen | sie waren so dankbar | dass sie dem schneider viel mehr zahlten | als er haben wollte | er erinnerte sich an die worte der eule |
„tu es und tu gutes damit“ |
und er tat es |
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